Professionelles Lungenscoring – ein wertvolles Tool für die Bestandsdiagnostik?

Atemwegserkrankungen beim Schwein sind ein großes Thema. Seit geraumer Zeit ist bekannt, dass diese in der Regel nicht durch einen Faktor bedingt sind, sondern vorwiegend die Folge einer Vielzahl von Ursachen darstellen. Das heißt, es wirken abiotische (mangelhaftes Stallklima, hoher Staubgehalt in der Luft, Stress) und biotische (v.a. Viren und Bakterien) Faktoren zusammen und lösen den sogenannten PRDC (Porcine Respiratory Disease Complex), eine multifaktoriell bedingte Atemwegserkrankung, aus. Bezogen auf die Infektionserreger bedeutet dies auch, dass meist nicht nur ein einzelner Keim ein respiratorisches Geschehen verursacht, sondern die Kombination zweier oder mehrerer Keime. Grundlage für das PRDC sind meist virale Erkrankungen (versursacht durch PRRSV, PCV2 oder SIV) beziehungsweise Mykoplasmeninfektionen (meist M. hyopneumoniae). 

Lungenscoring am Schlachtband

Die Diagnostik des PRDC basiert auf mehreren Säulen. Die Wichtigste ist sicher die klinische und pathologische Erfahrung des Betreuungstierarztes. Unterstützend kommen dann noch labortechnische Methoden, wie bakteriologische und serologische Untersuchungen sowie die PCR, zum Einsatz. Seit einiger Zeit wird nun vermehrt als begleitende Maßnahme auch ein sogenanntes Lungenscoring durchgeführt. Von unserer Praxis aus arbeiten wir hier mit der Fa. Ceva zusammen, die das CLP® (Ceva Lung Program) entwickelt hat. Hierbei handelt es sich um ein App-basiertes Tool, wobei direkt am Schlachtband ein geschulter Scorer (Untersucher) die beobachteten Lungenveränderungen real-time (in Echtzeit) in standardisierter Weise in eine Maske am Tablet eingibt. Mit dem CLP® werden in erster Linie Veränderungen in Folge einer Mykoplasmeninfektion (Enzootische Pneumonie = EP = Ferkelhusten) sowie einer Actinobacillus-Pleuropneumonie (APP) erfasst. Bei beiden Erregern/Krankheitsbildern handelt es sich derzeit wahrscheinlich um die bedeutendsten im Rahmen des PRDC. 

Nutzen des Lungenscorings

Da beim CLP® intern ein Statistikprogramm mitläuft, können per Knopfdruck entsprechende Kennzahlen für die gesamte Schlachtpartie erhoben werden, sodass der Schweinehalter sowie der Betreuungstierarzt (der den Befund bekommt) einen sehr guten Überblick über den Lungengesundheitsstatus des Bestandes erhalten. Worin liegt nun der weitere Nutzen eines solchen Lungenscorings, abgesehen von den erhobenen Lungenveränderungs-Kennzahlen? Der Tierarzt erhält eventuell eine Entscheidungshilfe für die Wahl der weiteren therapeutischen Vorgehensweise beziehungsweise kann überprüft werden, ob eine gesetzte Maßnahme – wie eine eingeführte Impfung – auch den gewünschten Erfolg gebracht hat. Dafür wäre dann eine “Vorher/Nachher-Untersuchung“ sinnvoll. Dies kann dann auch für den Tierarzt wertvoll sein, um den Landwirt von der Sinnhaftigkeit der gesetzten Maßnahmen zu überzeugen.

 

Das CLP® lässt sich auch gut in wissenschaftlich-praktische Studien einbauen. Wir selber haben bisher drei Untersuchungen mit Hilfe des CLP® durchgeführt. In einer ersten Studie aus dem Jahr 2018 konnten wir sehr schön die Wirksamkeit einer neuen One-shot Mykoplasmenimpfung (EP-Index dieser Mastgruppe war 2.0) im Vergleich zu einer herkömmlichen Two-Shot-Impfung (EP-Index von 3.4) in einem Problembestand zeigen. Zusätzlich sank die Wahrscheinlichkeit für eine antibiotische Behandlung in der One-Shot-Gruppe um rund zwei Drittel.

 

In der zweiten Studie aus dem Jahr 2020 untersuchten wir die Auswirkungen der Ferkelimpfung (oder eben „Nicht-Impfung“) gegen M. hyopneumoniae und PCV2 auf die Lungengesundheit von Schlachtschweinen. Es wurden 976 Tiere aus 12 Betrieben in die Studie einbezogen. Die Ergebnisse waren beeindruckend. Waren die Ferkel gegen die beiden Erreger geimpft, so lag der mittlere EP-Score bei 2.0, während bei ungeimpften Tieren ein EP-Score von 5.0 zu verzeichnen war. Es waren bei den nicht-geimpften Tieren aber nicht nur die EP-Werte erhöht, sondern auch der Großteil der Kennzahlen, die nicht unmittelbar mit einer Mykplasmeninfektion, sondern beispielsweise auch mit einer APP assoziiert sind. Dies zeigt sehr deutlich, wie im Rahmen eines PRDC die unterschiedlichen Erreger und die hervorgerufenen Pathophysiologien miteinander vernetzt sind. Mit anderen Worten: wird konsequent gegen einen grundlegenden Erreger, wie die Mykoplasmen (+ PCV2) geimpft, dann wirkt sich das auch positiv gegen eine Reihe anderer Lungeninfektionserreger aus und die Lungengesundheit des Bestandes steigt insgesamt. Folglich sinkt auch der Antibiotikaverbrauch.

 

In einer aktuellen dritten Studie konnten wir den Erfolg einer APP-Impfung in einem chronisch infizierten und von einem akuten Schub betroffenen Bestand mit Hilfe des CLP® demonstrieren. Nicht nur, dass nach Greifen der Impfmaßnahmen keine weitere Antibiose mehr nötig war, auch die Lungenscore-Ergebnisse waren sehr schön. Der APP-Index war von 1.2 auf gegen 0 gesunken und gleichzeitig kam es auch zu einer drastischen Reduktion der Bronchopneumoniewerte.

 

Fazit

Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Lungenscoring für große wie für kleine Bestände Sinn macht. Es wird ein guter Überblick über den Lungengesundheitsstatus am Bestand gegeben und die Wirksamkeit der gesetzten therapeutischen bzw. vorbeugenden Maßnahmen kann besser beurteilt werden. Bei unerfahreneren TierärztInnen kann ein professionelles Lungenscoring zudem gute Anhaltspunkte im Rahmen einer diagnostischen Aufarbeitung eines Problembestandes geben.

 

Verfasser:

Univ.Prof. Dr. Wolfgang Sipos, Dipl.ECPHM

Veterinärmedizinische Universität Wien, 1210 Wien, Österreich (www.vetmeduni.ac.at)

Tierarztpraxis Schwertfegen, 3040 Neulengbach, Österreich (www.tierarztpraxis-schwertfegen.at)

 

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